Teil 2 | Die Kritik am WHO-Bericht

8. Juni 2020
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Kritik an Studien, auf die sich der Bericht der WHO stützt

Als ich mich in das Thema einlas, bin ich an mehreren Stellen auf zwei konkrete Kritikpunkte gestoßen:

  1. Zwei involvierte Wissenschaftler (der vielen zugrundeliegenden Studien) hätten eine persönliche Voreinstellung. Diese subjektive Meinung hätte sich in den Studienergebnissen niedergelegt.
  2. Wissenschaftler anderer Positionen kritisieren die Aussagekraft des WHO-Berichts, da er auf einer Metanalyse fußt, nicht auf einer Klinischen Studie.

 

Der Vorwurf des Confirmation Bias

Die Empfehlung der WHO basiert u.a. auf Studien von zwei kanadischen Forschern: Dr. Tim Stockwell und Dr. Tim Naimi. Beide haben lange zum Thema Alkohol und Gesundheit geforscht. Ihre Studien werden von der WHO und DGE (Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V.) genutzt, um die Null-Alkohol-Empfehlung zu begründen.

Zudem haben beide Forscher eine enge Verbindungen zur Abstinenz-Bewegung "Movendi", einer Organisation, die sich weltweit gegen Alkohol ausspricht. Movendi arbeitet eng mit der WHO zusammen und will Alkoholkonsum komplett zurückdrängen. Kritiker meinen, die Wissenschaftler hätten eine eigene Agenda – also ein Ziel, das sie mit ihren Studien verfolgen: eine alkoholfreie Gesellschaft. Aufgrund dieser Motivation hätten die Wissenschaftler explizit Studien "herausgepickt", die die eigene Meinung untermauern. Dieser Vorwurf ist natürlich schwierig zu belegen - steht allerdings im Raum.

Die Kritik an der Aussagekraft der Metaanalyse

Der WHO-Bericht basiert nicht auf eigenen randomisierten klinischen Studien – vielmehr handelt es sich um eine Mischung aus verschiedenen Datenquellen: Metaanalysen prospektiver Kohortenstudien, Einzelstudien, amtliche Statistiken und Umfragen.

Im Nachfolgenden habe ich die allgemeinen Schwachstellen von Metaanalysen und Kohortenstudien aufgelistet.

Die nachfolgende Liste ist lediglich als allgemeine Schwachstelle von Metaanalysen und Kohorten-Studien zu verstehen. Es bedeutet eben nicht, dass alle nachfolgenden Mängel auf den WHO-Bericht zutreffen. 

Ich konnte nicht herausfinden, welche der nachfolgenden Punkte konkret vorgeworfen werden - außer eben der Confirmation Bias, und dass es überhaupt eine Meta-Analayse ist.

„Dr. Stockwells Forschungskompetenz ist im Wesentlichen die Epidemiologie, also die Untersuchung von Bevölkerungen. Man zeichnet den Lebensstil der Menschen auf, sieht, welche Krankheiten sie bekommen und versucht, die Krankheit mit Aspekten ihres Lebensstils zu korrelieren. Aber das ist nur eine Korrelation, eine Assoziation. Epidemiologie allein kann niemals Kausalität feststellen. Und in diesem speziellen Fall hat Dr. Stockwell sechs aus 107 Studien ausgewählt, auf die er sich konzentriert hat. Man könnte sagen, er hat sie herausgepickt.“

Richard Harding

Der ehemalige britische Regierungswissenschaftler in einem Interview mit der britischen Zeitung The Telegraph

DGE-Positionspapier

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. veröffentlichte im Oktober 2024 ein Positionspapier zum Thema.

In diesem Positionspapier räumt die DGE die o.g. Kritik ein:

Die Aussagekraft von Metaanalysen von Kohortenstudien zur Beziehung zwischen Alkoholkonsum und Gesamtmortalität ist durch methodische Schwierigkeiten stark limitiert. Neben allgemeinen Schwierigkeiten bei der Auswertung des Zusammenhangs zwischen Alkoholkonsum und Krankheiten (siehe Abschnitt „Limitationen epidemiologischer Studien zum Alkoholkonsum“) kommen in Bezug auf die Gesamtmortalität weitere Limitationen hinzu. […]

Positionspapier der DGE

Fazit

Mir fällt es unglaublich schwer, an dieser Stelle ein Fazit zu verfassen.

Einerseits: Der WHO-Bericht ist methodisch fundiert, da er große, korrigierte Beobachtungsdaten nutzt. Die zentrale Aussage – „keine unbedenkliche Menge“ – wird durch die Krebsrisikodaten gestützt. Gleichzeitig: Die Kritik an der Aussagekraft der Metaanalyse ist nachvollziehbar und trotzdem schwach. Metaanalysen sind eine völlig gängige Studienart und haben nicht ohne Grund ihre Daseinsberechtigung. Klinische Studien sind zwar das Nonplusultra, aber häufig nicht in der Praxis umsetzbar.

Die Diskussion über moderate Konsummengen bleibt wissenschaftlich kontrovers. Die WHO priorisiert hier eine Vorsorgeperspektive, während Kritiker:innen eine differenziertere Risiko-Nutzen-Abwägung fordern. Für eine individuelle Entscheidung sollten beide Perspektiven berücksichtigt werden.

Für mich bleibt die Kernaussage der WHO nach wie vor plausibel: Der erste Tropfen Alkohol kann gesundheitsschädlich sein. Wie ich persönlich grundsätzlich zum Alkoholkonsum stehe, erfahrt ihr in Teil 5 dieser Reihe.

Was wäre die perfekte Studie?

Man kann nicht auf einer Methodik herumhacken, ohne Alternativen aufzuzeigen. Und genau darum geht es in Teil 3 dieser Blog-Reihe: Studiendesign einer randomisierten, kontrollierten Studie (RCT) zum Thema Alkohol und Gesundheit.

Unbedingt durchlesen - man merkt sofort, dass die WHO gar keine andere Wahl hatte, als ihre Studie auf einer Metaanalyse aufzubauen.

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Autorin Andrea

Ich brenne nicht nur für mein Leben gerne - sondern teile auch gerne mein Wissen, Erfahrung und Leidenschaft. In meinen Blogbeiträgen nehme ich Dich mit in den Alltag in unserer Brennerei und auf unseren kleinen Obstbaubetrieb. Natürlich gibt es zwischendurch auch Drinks zu genießen.

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