Meinung zu den aktuellen Protesten der Landwirte

7. Januar 2024
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Seit einigen Wochen sehen wir in den Medien den Aufruhr unter deutschen Landwirten. Hintergrund sind geplante Sparpläne der Bundesregierung (Abschaffung der Kfz-Steuerbefreiung für Landwirte und Streichung der Agrardieselrückvergütung), von denen teils, seit gestern, 4. Januar 2024 zurückgerudert wurde. (Link zur Pressemitteilung, 4. Januar 2024)

Schonmal vorweg: Ich möchte mit dieser kleinen Stellungnahme niemanden angreifen. Die Motivation rührt daher, dass ich von Freunden gefragt wurde, woher diese Wut der Landwirte kommt und um wie viel Geld es hier eigentlich geht. Und ich werde in diesem Text zugunsten der leichteren Lesbarkeit auf das Gendern verzichten. Wenn ich von Landwirten spreche, meine ich selbstverständlich immer Landwirtinnen und Landwirte.

Wofür und wogegen ich bin

Ich bin gegen beide Sparpläne (die Begründung kommt weiter unten) und halte auch den vorgestellten Kompromiss vom 4. Januar für unzulänglich. Deswegen stehe ich hinter den Demonstrationen. ABER!

Aber ich bin klar gegen Sachbeschädigung, Gewalt, Extremismus und Beleidigungen. Ich empfinde es als sehr schade, wie einzelne Demonstranten übers Ziel hinausschießen, denn ich glaube, dass diese der eigentlichen Sache, nämlich dem Protest, nicht nur schaden, sondern sie sind in einer Demokratie einfach nicht in Ordnung.

Ich bin für die Diskussion und gleichzeitig muss diese sachlich bleiben. Natürlich verstehe ich die Wut der Landwirte komplett und kann nachvollziehen, dass Emotionen hochkochen und gerade in Gruppen zu einer Dynamik führen können. Aber Gewalt hat einfach nichts mit friedlichem Protest zu tun und hat in einer Demokratie keinen Platz.

 

Ein Mangel an Information

Viele meiner Freunde sind komplett branchenfremd, können also den Protest schwer nachvollziehen. Das Gute ist, sie fragen nach und erkundigen sich. Nur wer nachfragt, kann sich ein vollständiges Bild machen und sich eine differenzierte Meinung bilden. Denn beim Konsumenten herrscht offenbar ein Mangel an Information. Ich sehe etwa auf ZEIT-ONLINE die Leserkommentare und falle vom Glauben ab. Hasskommentare, Pauschalierungen und Beleidigungen (gegenüber den Demonstranten und gegenüber der Ampelregierung) fliegen da einem entgegen.

Wenn Aussagen laut werden, wie „Den Landwirten werden doch ohnehin schon jahrzehntelang Subventionen in den Arsch geblasen“ und „Warum jammern die Bauern, wenn sie gleichzeitig auf einem nagelneuen Traktor hocken?“ – zeigt sich, dass ein Mangel an Information herrscht und noch mehr Öffentlichkeitsarbeit notwendig ist.

Auch ich habe einen Mangel an Information - ich kann mir lediglich eine Meinung bilden aus dem Kontext heraus, den ich kenne: Kleine Landwirtschaftsbetriebe, geführt von Familien, in Baden-Württemberg.

Als Beispiel: Die Rahmenbedingungen für riesige Landwirtschaftsbetriebe in Schleswig-Holstein sind mir fremd, deswegen kann ich für deren Standpunkt nicht sprechen.

Mit meinem Statement versuche ich zwar objektiv zu sein, ist aber schlussendlich subjektiv...

Mediale Berichterstattung

Der Einfluss der Medien

Die mediale Berichterstattung (Videos, Bilder, Texte) haben einen großen Einfluss darauf, wie wir die Geschichte wahrnehmen. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass uns immer lediglich Fragmente präsentiert werden. Bei Videos sehen wir wenige Sekunden, die möglicherweise aus dem Kontext gerissen wurden, manche Videos sind gar nicht echt und stammen von Protesten aus anderen Ländern.

Wichtig hierbei ist, dass wir besonnen bleiben und nicht pauschalieren. Deutschlandweit gab und gibt es sehr viele friedliche und regelkonforme Proteste, während es leider auch (wenige) grenzüberschreitende Proteste gab und geben wird. Hier schaue ich sehr besorgt auf kommenden Montag, 8. Januar.

Von einem Landwirt, der in einer kleinen, regionalen Protestbewegung organisiert ist, habe ich erfahren, dass sich in deren Netzwerken viele Trittbrettfahrer und Berufsdemonstranten beteiligen, die gar nicht betroffen sind. Teils handelt es sich um Hardliner mit sehr extremen Ansichten, die die Protestbewegung ausnutzen, um für ihre eigenen politischen Ansichten zu kämpfen, z.B. die Ampelregierung zu schwächen. (Ergänzung 16.01.2024: Dass das tatsächlich so ist, haben wir in der Zwischenzeit durch die Medien zur Genüge erfahren.)

Die Unterwanderung der Proteste durch Hardliner ist ein riesengroßes Problem und schwächt die Demonstration der Landwirte.

Großartige Öffentlichkeitsarbeit von Landwirten, die lauter sein muss:

Im Rahmen der Protestbewegung bin ich auf junge Landwirte gestoßen, die wirklich großartige Öffentlichkeitsarbeit leisten. Sie ordnen Dinge ein, werfen einen differenzierten Blick auf aktuelle Themen und bleiben dabei sachlich. Teilweise konnte ich auf deren Instagram-Kanal sogar beobachten, wie sie an protestierende Landwirte appellieren, sich an gesittete Regeln des Demonstrierens zu halten.

Hier drei Links, die ich empfehlen kann:

  • Die Ackerschwestern
    https://www.ackerschwestern.de/
    „Wir haben zahlreiche Studien, wissenschaftliche Paper und Untersuchungen für euch online zusammen gefasst. Zu den Themen "Teller oder Trog", Phosphathauptverursacher Kläranlagen, Höfesterben...“
  • Marie Hoffmann
    https://www.marie-hoffmann-landwirtschaft.de/
    „Da mir die Landwirtschaft sehr am Herzen liegt, ist es mir unfassbar wichtig die ganzheitlichen Facetten dem Verbraucher als auch den Landwirten näher zu bringen.“
  • Die Ackerdemiker.in
    https://www.ackerdemiker.in/
    Blog des Fachbereichs Landschaftsnutzung und Naturschutz

Hintergründe zur Motivation der Landwirte

Warum ist der Aufstand der Landwirte diesmal so groß?

Die Proteste haben ein Ausmaß erreicht, wie wir ihn in Deutschland bisher nicht erlebt haben (zumindest ich nicht). Der Aufschrei ist diesmal so laut, weil alle Landwirte betroffen sind, unabhängig ihrer Ausrichtung und Größe. Der Ackerbauer ist genauso betroffen wie der Milchviehzüchter, der Gemüsebauer oder wie der Obstbauer.

Ein weiterer Grund ist, dass Landwirte seit Jahren etliche Mehraufwände hinnehmen mussten, die stetig zu höheren Produktionskosten geführt haben, aber nicht zu höheren Verkaufspreisen.

Der Frust hat sich angestaut, und das über mehrere Jahre.

Um wieviel Geld geht’s eigentlich?

Als Beispiel: Wir sind ein Mini-Landwirtschaftsbetrieb im Nebenerwerb. Wir betreiben Obstbau mit knapp 2 Hektar, haben 2 Traktoren. Unserer Landwirtschaft ist nicht so maschinengetrieben, wie beispielsweise im Ackerbau. Bei uns geht’s lediglich um einen mittleren bis hohen 3-stelligen Betrag pro Jahr.

Ein Freund betreibt einen kleinen Familienbetrieb mit Milch- und Fleckviehzucht mit 110 Hektar. Hier geht es um einen hohen 4- bis mittleren 5-stelligen Betrag pro Jahr. Geld, das der 5-köpfigen Familie fehlen würde, wenn beide Sparpläne umgesetzt würden. Wenn der „Kompromiss“ käme, ginge es um ca. die Hälfte des Betrags, ergo: Der Betriebsleiter würde 500€/mtl. weniger nach Hause bringen. Das ist sehr viel Geld.

Der Betrag variiert pro Jahr, da die Höhe der Agrardieselrückvergütung davon abhängig ist, wie viel Liter Diesel verbraucht wurde.

Ja, wir brauchen in der Landwirtschaft eine Lösung für den Treibstoff

Dass wir für die Landwirtschaft eine Lösung brauchen, ist ganz klar. Diesel ist nicht die ewige Lösung. Gleichzeitig kann ein Ackerbauer sein Feld nicht mit einem E-Traktor bearbeiten. E-Traktoren sind lediglich als Schmalspurtraktoren für Obst- und Weinbau geeignet.

Die Forschung und Entwicklung für alternative Antriebskonzepte muss hier sehr schnell weiterkommen und wir brauchen Brückenlösungen - für beide Aspekte muss die Bundesregierung die Weichen legen. Weil noch viel getan werden muss, habe ich persönlich Zweifel, dass die Lösungen bereits in drei Jahren umsetzungsreif auf dem Tisch liegen werden. Deswegen bin ich auch gegen den Kompromiss vom 4. Januar, die Agrardieselrückvergütung stufenweise abzuschaffen.

Grundsätzlich würde ich es sehr begrüßen, wenn im Lebensmittelsektor Rahmenbedingungen geschaffen würden, in denen Landwirtschaftsbetriebe, unabhängig von ihrer Größe, langfristig wirtschaften und existieren können, ohne auf Subventionen und Steuerbegünstigungen angewiesen sein zu müssen. Und genau hier bräuchten wir eine europäische Lösung.

Warum die AFD keine Alternative ist

Die AfD ist bei den Bauern-Protesten ganz vorn mit dabei

Spannend ist zu beobachten, dass die AfD bei den Protesten ganz vorn mit dabei ist, und sich als Freund der Landwirte präsentiert. Werfen wir doch mal einen Blick in deren Parteienprogramm von Mai 2023:

Zum Parteiprogramm

Hier steht auf Seite 88 unter Punkt 13.6:

Landwirtschaft: Mehr Wettbewerb. Weniger Subventionen

Die EU-Subventionen nach dem Gießkannenprinzip sowie bürokratische Überreglementierungen sind Schritt für Schritt zurückzufahren. Die Landwirte brauchen wieder mehr Entscheidungsfreiheit. Der Beruf des Landwirts muss wieder attraktiver werden.

Hier fehlt nicht nur eine konkrete Lösung, wie der deutsche Landwirt existieren könnte. Es klingt vielmehr so, als würde man den Landwirt auf einem freien Markt sich selbst überlassen. Außerdem fehlt hier der europäische Denkansatz - denn ich bin davon überzeugt, dass der Landwirtschafts- bzw. Lebensmittelsektor europaweit geregelt sein müsste.

Meine persönlichen Gedanken

Warum bin ich gegen die Sparpläne?

  • Es geht hier um Geld, das dem Landwirt de facto fehlen würde. Die meisten Landwirte sind keine Großverdiener – auch wenn sie in großen, teuren Traktoren fahren.
  • Wenn die Kfz-Steuerbefreiung und Dieselrückvergütung gestrichen würden, müsste diese eigentlich auf den Lebensmittelpreis aufgeschlagen werden, was den Wettbewerb auf dem Lebensmittelmarkt nochmals deutlich erschweren würde. Denn:
  • Landwirte konkurrieren auf einem globalisierten Lebensmittelmarkt, auf dem Lebensmittel aus Ländern importiert werden, die
    • deutlich geringere Lohnkosten haben,
    • mit niedrigeren Standards produziert wurden und
    • häufig unter schlechteren Umweltschutzstandards produziert wurden.
  • Selten können Kostensteigerungen der Produktion auf den Lebensmittelpreis umgeschlagen werden, da bei vielen Produkten nicht der Landwirt den Preis bestimmt, sondern der Lebensmitteleinzelhandel (Edeka, Aldi, Lidl & Co.) oder die Börse. (Dann wird gerne gekontert, dass der Landwirt selbst direkt vermarkten soll. Das geht aber nicht für alle Produkte, die ein Landwirt erzeugt! (Soll sich der Landwirt mit einem Sack Weizen an die Straße stellen?)

In der Vergangenheit hat man mit Erhöhung der Effizienz in der Produktion auf die Kostensteigerung reagiert. Sei es durch Erhöhung der Milchproduktion einer Kuh oder durch das Zusammenlegen von Ackerflächen. Aber dieses Spiel kann so nicht ewig weitergehen.

Nebenbei sei hier ein absurdes Beispiel genannt: Wir exportieren deutsches Schweinefleisch nach China, gleichzeitig importieren wir chinesisches Schweinefleisch, teils aus solchen Produktionsstätten: Link

Ist das nachhaltig? Ist es sinnvoll ähnliche Lebensmittel derart über den Globus zu schicken? Deutlich nachhaltiger wäre es, wenn wir Lebensmittel konsumieren würden, die vor unserer Haustür produziert wurden. Das ist nicht nur umweltfreundlich, sondern auch volkswirtschaftlich erstrebenswert.

Damit dieser Ansatz gelingen kann, müssen unsere Lebensmittel mit importierten Lebensmitteln preislich mithalten können. Und damit dieser Wettbewerb funktioniert, werden Landwirtschaftsbetriebe in der EU subventioniert. Anders geht es unter den aktuellen Rahmenbedingungen nicht.

Landwirtschaftsbetriebe könnten ohne Subventionen existieren, wenn wir die Grenzen dichtmachen und auf Importware Zölle verlangen. Aber das halte ich für keine gute Lösung (und wird auch nicht diskutiert).

Achja, und die andere Lösung wäre, dass man alle Subventionen streicht, die Landwirte legen ihre Arbeit nieder, lösen ihre Landwirtschaft auf (wenn sie sich das leisten können (anderes, kompliziertes Thema)), und wir importieren einfach alle Lebensmittel langfristig. Ja, das ist überspitzt formuliert, gleichzeitig sind die Subventionen unter den aktuellen Rahmenbedingungen existenziell.

Und die dritte Lösung wäre, dass wir als Gesellschaft es endlich schaffen:

  • zu begreifen, dass Lebensmittel aus Deutschland für Deutschland (bzw. aus Europa für Europa) die nachhaltigste Lösung sind,
  • dass neue Rahmenbedingungen geschaffen werden, in denen Landwirtschaftsbetriebe ohne Subventionen und Steuerbegünstigungen wirtschaftlich existieren können,
  • dass Lebensmittel in Deutschland nicht nur wertgeschätzt werden, sondern
  • auch der Konsument bereit ist, deren Wert zu bezahlen, und
  • dass der Konsument sich als Akteur der Lebensmittelwirtschaft erkennt und sich nicht als Endkonsument versteht.

Ergänzung am 16.01.2024:

Gestern, am Montag, 15. Januar 2024, trafen sich der Petitionsausschuss, die Petentin Marie von Schnehen und Marie Hoffmann.

Die Petition gegen die Streichung der Agrardieselrückvergütung und der Kfz-Steuerbefreiung wurde am 17. Dezember 2023 auf Change.org gestartet und erreichte in kürzester Zeit über 1 Millionen Unterschriften. Ein beachtlicher Erfolg.

Die Diskussion ist sehr sehenswert, hier der Link zum kompletten Mitschnitt: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw03-pa-petitionen-agrardiesel-985334

Essen ist ein agrarischer Akt

Wendell Berry
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Autorin Andrea

Ich brenne nicht nur für mein Leben gerne - sondern teile auch gerne mein Wissen, Erfahrung und Leidenschaft. In meinen Blogbeiträgen nehme ich Dich mit in den Alltag in unserer Brennerei und auf unseren kleinen Obstbaubetrieb. Natürlich gibt es zwischendurch auch Drinks zu genießen.

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