Teil 2 | Die Kritik am WHO-Bericht
Kritik an Studien, auf die sich der Bericht der WHO stützt
Als ich mich in das Thema einlas, bin ich an mehreren Stellen auf zwei konkrete Kritikpunkte gestoßen:
- Zwei involvierte Wissenschaftler (der vielen zugrundeliegenden Studien) hätten eine persönliche Voreinstellung. Diese subjektive Meinung hätte sich in den Studienergebnissen niedergelegt.
- Wissenschaftler anderer Positionen kritisieren die Aussagekraft des WHO-Berichts, da er auf einer Metanalyse fußt, nicht auf einer Klinischen Studie.
Der Vorwurf des Confirmation Bias
Die Empfehlung der WHO basiert u.a. auf Studien von zwei kanadischen Forschern: Dr. Tim Stockwell und Dr. Tim Naimi. Beide haben lange zum Thema Alkohol und Gesundheit geforscht. Ihre Studien werden von der WHO und DGE (Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V.) genutzt, um die Null-Alkohol-Empfehlung zu begründen.
Zudem haben beide Forscher eine enge Verbindungen zur Abstinenz-Bewegung "Movendi", einer Organisation, die sich weltweit gegen Alkohol ausspricht. Movendi arbeitet eng mit der WHO zusammen und will Alkoholkonsum komplett zurückdrängen. Kritiker meinen, die Wissenschaftler hätten eine eigene Agenda – also ein Ziel, das sie mit ihren Studien verfolgen: eine alkoholfreie Gesellschaft. Aufgrund dieser Motivation hätten die Wissenschaftler explizit Studien "herausgepickt", die die eigene Meinung untermauern. Dieser Vorwurf ist natürlich schwierig zu belegen - steht allerdings im Raum.
Die Kritik an der Aussagekraft der Metaanalyse
Der WHO-Bericht basiert nicht auf eigenen randomisierten klinischen Studien – vielmehr handelt es sich um eine Mischung aus verschiedenen Datenquellen: Metaanalysen prospektiver Kohortenstudien, Einzelstudien, amtliche Statistiken und Umfragen.
Im Nachfolgenden habe ich die allgemeinen Schwachstellen von Metaanalysen und Kohortenstudien aufgelistet.
Die nachfolgende Liste ist lediglich als allgemeine Schwachstelle von Metaa nalysen und Kohorten-Studien zu verstehen. Es bedeutet eben nicht, dass alle nachfolgenden Mängel auf den WHO-Bericht zutreffen.
Ich konnte nicht herausfinden, welche der nachfolgenden Punkte konkret vorgeworfen werden - außer eben der Confirmation Bias, und dass es überhaupt eine Meta-Analayse ist.
Potentielle Schwachstellen von Meta-Analysen
Meta-Analysen gelten als „Goldstandard“ in der evidenzbasierten Medizin, aber sie sind nicht unfehlbar. Sie bündeln zwar viele Studienergebnisse, aber auch deren Fehler, Verzerrungen und Limitationen. Hier sind die wichtigsten Probleme im Überblick:
Die Qualität der Einzelstudien bestimmt die Aussagekraft:
"Garbage in, garbage out": Wenn eine Meta-Analyse viele schwache oder fehlerhafte Studien einbezieht, wird das Ergebnis dadurch verwässert – selbst bei perfekter Statistik. Beispiel: Wenn viele der enthaltenen Kohortenstudien ungenau messen, wer wie viel Alkohol trinkt, bringt auch die Meta-Analyse keine Klarheit.
Heterogenität der Studien:
Studien können sich methodisch, geografisch, zeitlich oder in der Population stark unterscheiden. Wenn man Äpfel und Birnen zusammenrechnet (z.B. Senioren in Japan vs. Jugendliche in den USA), sind die Mittelwerte möglicherweise nicht sinnvoll interpretierbar.
Publikationsbias:
Studien mit „signifikanten“ Ergebnissen werden häufiger veröffentlicht. Studien, die keinen Effekt zeigen („Nullresultate“), werden oft nicht publiziert. Eine Metaanalyse kann dann ein verzerrtes Bild zeichnen, weil sie vor allem die signifikanten (oft positiven oder negativen) Effekte aggregiert.
Selektionsbias durch die Autoren:
Forscher können durch Studienauswahl und Gewichtung ungewollt ein bestimmtes Ergebnis herbeiführen. Z.B. durch:
-
- bewusste Ein- oder Ausschlusskriterien,
- Auswahl nur englischsprachiger Literatur,
- Übergewichtung großer Studien trotz methodischer Schwächen.
Dateninkonsistenzen und fehlende Rohdaten:
Nicht alle Studien berichten dieselben Kennzahlen oder Endpunkte. Das zwingt Autoren oft, mit geschätzten oder unvollständigen Daten zu arbeiten – was Unsicherheiten erhöht.
Simpson's Paradox / Aggregationseffekte:
Ein scheinbarer Gesamteffekt in der Meta-Analyse kann sich umkehren oder auflösen, wenn man ihn in Subgruppen aufteilt. Beispiel: Alkohol scheint allgemein mit niedrigerem Herzinfarktrisiko assoziiert zu sein – aber nur in bestimmten Altersgruppen oder bei moderatem Konsum.
Voreinstellungen (Confirmation Bias):
Auch Meta-Analysen sind von der Interpretation der Autoren abhängig. In sensiblen Bereichen (z. B. Ernährung, Alkohol, Impfungen) können ideologische oder wirtschaftliche Interessen die Analyse beeinflussen.
Potentielle Schwachstellen einer Kohortenstudie
Was passiert in einer Kohortenstudie?
- Man beobachtet eine große Gruppe von Menschen (die "Kohorte") über einen längeren Zeitraum – manchmal über viele Jahre.
- Diese Menschen unterscheiden sich in einem bestimmten Punkt, z. : Einige trinken Alkohol, andere nicht.
- Die Forscher schauen dann, wer später welche Krankheiten bekommt.
- Am Ende wird verglichen: Gibt es Unterschiede zwischen den Gruppen?
Wichtig zu wissen:
- Eine Kohortenstudie kann Zusammenhänge (Korrelationen) zeigen, aber keine eindeutige Ursache (Kausalität) beweisen.
- Beispiel: Wenn Leute, die Alkohol trinken, häufiger krank werden, heißt das nicht automatisch, dass Alkohol die Ursache ist. Vielleicht gibt es andere Gründe (z. B. ungesunde Ernährung, Stress, die Qualität des konsumierten Alkohols).
Vergleich:
- Kohortenstudie: "Wir schauen zu, was passiert."
- Experiment (z.B. klinische Studie): "Wir greifen ein und kontrollieren, wer was bekommt."
„Dr. Stockwells Forschungskompetenz ist im Wesentlichen die Epidemiologie, also die Untersuchung von Bevölkerungen. Man zeichnet den Lebensstil der Menschen auf, sieht, welche Krankheiten sie bekommen und versucht, die Krankheit mit Aspekten ihres Lebensstils zu korrelieren. Aber das ist nur eine Korrelation, eine Assoziation. Epidemiologie allein kann niemals Kausalität feststellen. Und in diesem speziellen Fall hat Dr. Stockwell sechs aus 107 Studien ausgewählt, auf die er sich konzentriert hat. Man könnte sagen, er hat sie herausgepickt.“
DGE-Positionspapier
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. veröffentlichte im Oktober 2024 ein Positionspapier zum Thema.
In diesem Positionspapier räumt die DGE die o.g. Kritik ein:
„Die Aussagekraft von Metaanalysen von Kohortenstudien zur Beziehung zwischen Alkoholkonsum und Gesamtmortalität ist durch methodische Schwierigkeiten stark limitiert. Neben allgemeinen Schwierigkeiten bei der Auswertung des Zusammenhangs zwischen Alkoholkonsum und Krankheiten (siehe Abschnitt „Limitationen epidemiologischer Studien zum Alkoholkonsum“) kommen in Bezug auf die Gesamtmortalität weitere Limitationen hinzu. […]“
Fazit
Mir fällt es unglaublich schwer, an dieser Stelle ein Fazit zu verfassen.
Einerseits : Der WHO-Bericht ist methodisch fundiert, da er große, korrigierte Beobachtungsdaten nutzt. Die zentrale Aussage – „keine unbedenkliche Menge“ – wird durch die Krebsrisikodaten gestützt. Gleichzeitig : Die Kritik an der Aussagekraft der Metaanalyse ist nachvollziehbar und trotzdem schwach. Metaanalysen sind eine völlig gängige Studienart und haben nicht ohne Grund ihre Daseinsberechtigung. Klinische Studien sind zwar das Nonplusultra, aber häufig nicht in der Praxis umsetzbar.
Die Diskussion über moderate Konsummengen bleibt wissenschaftlich kontrovers. Die WHO priorisiert hier eine Vorsorgeperspektive, während Kritiker:innen eine differenziertere Risiko-Nutzen-Abwägung fordern. Für eine individuelle Entscheidung sollten beide Perspektiven berücksichtigt werden.
Für mich bleibt die Kernaussage der WHO nach wie vor plausibel: Der erste Tropfen Alkohol kann gesundheitsschädlich sein. Wie ich persönlich grundsätzlich zum Alkoholkonsum stehe, erfahrt ihr in Teil 5 dieser Reihe.
Was wäre die perfekte Studie?
Man kann nicht auf einer Methodik herumhacken, ohne Alternativen aufzuzeigen. Und genau darum geht es in Teil 3 dieser Blog-Reihe : Studiendesign einer randomisierten, kontrollierten Studie (RCT) zum Thema Alkohol und Gesundheit.Unbedingt durchlesen - man merkt sofort, dass die WHO gar keine andere Wahl hatte, als ihre Studie auf einer Metaanalyse aufzubauen.
Rückblick
Unsere Bestseller
Alle anzeigen
Autorin Andrea
Ich brenne nicht nur für mein Leben gerne - sondern teile auch gerne mein Wissen, Erfahrung und Leidenschaft. In meinen Blogbeiträgen nehme ich Dich mit in den Alltag in unserer Brennerei und auf unseren kleinen Betrieb. Natürlich gibt es zwischendurch auch Drinks zu genießen.
Hinterlasse einen Kommentar